Kontrapunkt: „Wie viel Blödsinn muss man sich als Zuschauer eigentlich bieten lassen?“, Ich streike!

Ich kann mir selbst nicht nachsagen, dass ich nicht grenzenlos neugierig wäre. Zwar laufe ich nicht mehr grundsätzlich in alles, was die Wiener Theaterszene bietet (so wie früher in meinen jüngeren Tagen), aber man muss mich schon sehr abschrecken, um mich von einem Theater- oder Opernbesuch abzuhalten – wie es dem MusikTheater an der Wien mit einer Oper gelungen ist, die sich „Voice Killers“ nennt.

© Der Opernfreund / Peter Klier

Allein die Tatsache, dass schon der Titel impliziert, wie die Musik eines solchen Werks klingen würde, wäre nicht genug gewesen. Aber als ich las, dass es um einen Serienmörder geht, der junge Frauen ihrer Stimmen wegen umbringt, da war bei mir der Ofen aus. Nein, danke, das will ich nicht sehen. Und als ich bei Kollegen Troger, der so bewunderns- und dankenswert unterwegs ist, las, dass das Haus bei der Vorstellung halb leer war… da dachte ich, dass es anderen Leuten bei der Ankündigung vielleicht so ging wie mir. Ich streike!

Bei den Festwochen habe ich oft gestreikt (und war dann froh darüber – nein, eine vierstündige französische Version eines Thomas-Bernhard-Romans habe ich mir erst gar nicht angetan, und ich wollte auch nicht dabei sein, wenn eine Schauspielerin Tag und Nacht lang in Endlos-Schleife immer dieselbe Szene spielt) – aber was ich gesehen habe, war auch des Interesses nicht wert.

Milo Raus Kommentar (anders kann man es nicht nennen) zu Jelineks „Burgtheater“-Stück: Ein großer Teil des Abends bestehe darin, dass die Schauspieler über die Figuren reflektieren, die sie spielen. Da überlegt sich Mavie Hörbiger mit betroffener Miene, ob ihr Großvater Paul Hörbiger, den sie verkörpert (das ist doch Familiensinn!), sich nicht versündigt hat, indem er in der Nazi-Zeit in so vielen Unterhaltungsfilmen mitwirkte… Den Vogel aber schoß Caroline Peters (Darstellerin von Attila Hörbiger) ab. Sie hat vor 40 Jahren als junges Mädchen in Bochum die Uraufführung von Jelineks „Burgtheater“ gesehen. „Und damals habe ich den Nationalsozialismus verstanden.“ Was für ein aufgewecktes Mädchen. Wie viel Blödsinn muss man sich als Zuschauer eigentlich bieten lassen?

Milo Raus „Die Seherin“ – seine perversen Hinrichtungs-Fantasien dem Publikum penetrant aufs Auge gedrückt.

Satoko Ichiharas „Kitty“ – endloser Beschwerde-Feminismus auf Japanisch.

Kurdwin Ayubs „Weiße Witwe“ – alberner Orientalismus, der nichts sagt und den niemand braucht.

Guillermo Cacaces „Gaviota“ – was bringt es mir, wenn fünf Frauen am Tisch sitzen und Texte aus Tschechows „Möwe“ lesen?

Ich streike jetzt mindestens einen Sommer lang (vom Theatersommer nehme ich minimalst etwas mit). Dazwischen kann man ja lesen und gelegentlich ins Kino gehen. Es muss nicht immer Theater sein.

Renate Wagner, 17. Juni 2025